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Consumer Health Informatics (CHI)

Coronakrise - Welche digitalen Angebote helfen könn(t)en

Aktuell werden in der Politik und in den Medien zahlreiche neue Ideen diskutiert, wie man die Verbreitung des neuartigen Coronavirus (COVID-19) besser kontrollieren kann. Dies wirkt sich in Zeiten von Kontaktvermeidung auch auf etablierte Versorgungskonzepte und -strukturen aus. Neuartige digitale Angebote sollen Bürger*innen und Menschen in Gesundheitsberufen dabei unterstützen, den Alltag oder das Berufsleben trotz des Coronavirus aufrecht zu erhalten oder (neu) gestalten zu können. 

Die neuen Angebote unterscheiden sich jedoch in ihrer Zielsetzung und ihren Ansätzen. Für Bürger*innen ist es daher nicht immer einfach den Überblick zu behalten. Die nachfolgenden Texte sollen hier eine Einordnung in aktuelle Themen und Entwicklungen geben. Sie werden in Form von Episoden gezielt aufbereitet und durch die Autoren in regelmäßigen Abständen veröffentlicht.

Übersichtsseite der bisherigen Episoden.


Episode 5 - Corona-Apps: Tracking vs Tracing

Wer kann sich schon an alle Alltagskontakte erinnern?

Vor kurzem bei einem Treffen mit meinen Freunden in einer Cafeteria: Einer von uns stellte die Frage, wer sich eigentlich bei den ganzen vielen Begegnungen im Alltag an alle Kontakte erinnern könne. Schließlich gehörten dazu auch die Sitznachbarin in der U-Bahn oder die Person hinter einem in der Supermarktschlage. Eine berechtigte Frage. Kaum jemand von uns hat in dem aktuellen Lebenstempo solche Fähigkeiten. Um unseren Alltag einfacher zu gestalten, nutzen wir ja bereits unseren Smartphone-Kalender, Push-Benachrichtigungen und andere smarte digitale Dienste. Und auch in Bezug auf die Nachverfolgung von Kontakten gibt es nun digitale Möglichkeiten. Tracking-Apps informieren den Interessenten, wo und zu welcher Zeit wir uns befinden. Im Gegensatz dazu informieren Tracing-Apps uns - nämlich die Benutzer*innen. Sie sind in der Lage, uns detailliert zu zeigen, ob wir engen Kontakt mit infizierten Menschen hatten, ohne dabei die persönlichen Daten zu veröffentlichen.

Tracking versus Tracing

In der aktuellen Berichterstattung werden die Begriffe Tracking und Tracing häufig benutzt. So ist beispielsweise in den Kommentaren zu einem Artikel auf einem Online-Nachrichtenportal zu lesen: „Das ist eine tracking & tracing app. Wer sie verwendet, der gibt freiwillig seine Identität, sowie seinen Standort zu jedem Zeitpunkt bekannt!“ Tracking oder doch Tracing oder beides zusammen? Die Begriffe werden derzeit oft vermischt. Um hier Klarheit zu schaffen, sollte zuallererst die Frage beantwortet werden, wo genau eigentlich die Unterschiede zwischen den Ansätzen Tracking und Tracing liegen.

Sprechen Sie Denglisch?

Die Begriffe Tracking und Tracing sind neuere Anglizismen, die in den letzten Jahren einen festen Platz in der deutschen Sprache gefunden haben. Seit der Corona-Krise sind die Begriffe öfter in den Medien anzutreffen. Tracking im eigentlichen Sinne des Wortes bedeutet „verfolgen“. Hier ist die Rede von aktuellen Standorten bestimmter Personen. Die Hauptfragen hierbei sind: Wer? Wo? Wann?

Tracing im Bezug auf Covid19 kann man mit „aufspüren“ übersetzen. Dies ähnelt im Kern einer "Detektivgeschichte". In diesem Sinn spielt die Tracing-App die Rolle eines Ermittlers und hat die Aufgabe, die Spuren des Virus aufzudecken und möglicherweise auch nachzuvollziehen.

Mechanismen wie beim Postversand

Oft sind mit den Begriffen Tracking oder Tracing zuerst Logistik- oder Paketdienstleistungen verbunden. Dank technologischer Fortschritte ist die Online-Sendungsverfolgung etwas Alltägliches geworden. Absender und Empfänger können jederzeit nachvollziehen, wo genau sich in einem bestimmten Moment eine Sendung befindet. Deswegen nennt man einen solchen Dienst „Live-Tracking“. Tracing-Instrumente zeigen hingegen die Spuren der Sendung. Welchen Weg hat das Päckchen schon zurückgelegt? Die passierten Stationen werden erfasst und auf Wunsch des/r Anweder*in dargestellt.

Ein weiterer Bereich, aus dem wir den Begriff Tracking kennen, ist das Online-Marketing. Hier kommen sogenannte Cookies zum Einsatz. Dieser Ansatz funktioniert so, dass die Bewegungen der Nutzer im Netz, etwa von der Eingabe in eine Suchmaschine bis zum Aufrufen einer bestimmten Internetseite bzw. eines bestimmten Suchergebnisses, erfasst werden. Hierdurch ist es möglich, die  Reichweite von Werbekampagnen oder die Nutzerfreundlichkeit einer ausgewählten Internetseite zu überprüfen.    

 Technischer Hintergrund

Tracking-Apps erfassen individuelle Geodaten in Echtzeit. Dies geschieht typischerweise über das globale Positionsbestimmungssystem (GPS). Tracing-Apps hingegen verfolgen Infektionsketten nach. Sie benutzen dafür eine Technologie namens Bluetooth Low Energy (BLE). Dabei spielt der Abstand zwischen Personen eine wichtige Rolle, da das Ansteckungsrisiko mit einem zu geringen Abstand erhöht ist. Dieser Abstand lässt sich mittels BLE mathematisch berechnen.

  • Technische Details

    Der ursprüngliche Zweck von BLE ist es, Daten zwischen in der Nähe befindlichen Geräte austauschen zu können. Hierzu werden Funkwellen benutzt, um die Daten über eine verhältnismäßig kurze Distanz zu übertragen. Mittels der Signalstärke (dBm) kann der Abstand zu einem anderen Gerät mathematisch abgeschätzt werden. Dies lässt sich näherungsweise in Metern umrechnen. Diese Messung und die daraus berechnete Abschätzung unterliegen jedoch Messfehlern und sind auch abhängig von der Umgebung in der sich zwei Personen mit BLE-fähigen Smartphones aufhalten.

    Anhand dieser Abstandsschätzung ist es somit möglich zu prüfen, ob Personen die kritische Grenze von etwa 2 Metern für eine längere Zeit unterschreiten. Das Robert Koch-Institut (RKI) definiert eine kritische Begegnung als nahen Kontakt über eine Dauer von mehr als 15 Minuten. Hier ist das Risiko einer Infektion deutlich erhöht.

    Technisches, englischsprachiges Video zur Nutzung von BLE zur Abstandsdetektion mittels der Signalstärke: www.youtube.com/watch

Tracking bedeutet im Zusammenhang mit Corona-Apps, digital oder analog zurückgelegte Wegstrecken und besuchte Orte zu erfassen, die einer bestimmten Person eindeutig zugeordnet werden können. Tracing via App fokussiert hingegen darauf - etwa über die Bluetooth-Technologie - Alltagsbegegnungen einer Person mit anderen möglicherweise infizierten Personen zu erkennen und somit sichtbar werden zu lassen. Dabei lassen sich Bewegungen und Begegnungen der Nutzer*innen jedoch nicht an zentraler Stelle einer Person zuordnen. Vielmehr erhalten nur Anwender*innen einer Tracing-App eine entsprechende Mitteilung, falls sie sich für eine bestimmte Zeit in der Nähe einer infizierten Person aufgehalten hat.

Chance: Forschung!

Tracing sowie Tracking gelten als digitale Hilfsmittel bei der Eindämmung neuer Infektionen. Beide können dabei auch für die Wissenschaft hilfreich sein. Dies ist bei der OHIOH-Tracing-App von der Fachhochschule Kiel der Fall. Diese App wurde von Studierenden entwickelt. Das Konzept besteht darin, dass Informationen über die Bewegungen bzw. die Standorte der Nutzer*innen zuerst auf deren Smartphone identifiziert und gespeichert werden. Hierzu wird die Distanz zu anderen mobilen Geräten, welche die selbe App nutzen, gemessen. Im Falle einer bestätigten Infektion können die Nutzerinnen und Nutzer selbst entscheiden, ob sie die eigenen Standortdaten freigeben wollen. Falls ja, dann werden die Kontaktpersonen über ein mögliches Infektionsrisiko informiert. Mit Hilfe der übermittelten Daten können die Forschenden neue Szenarien für den Umgang mit Infektionen anfertigen. Der Programmcode ist quelloffen und kann im Internetbrowser durch jeden Interessenten nachvollzogen werden. Dies ermöglicht die Kontrolle darüber, welche Daten gespeichert und gesendet werden. „Das Thema „Datenschutz“ ist besonders in Deutschland sehr sensibel“,  erzählt Tjark Ziehm, Wirtschaftsinformatikstudent der Fachhochschule Kiel und Initiator des Forschungsprojekts OHIOH. „Tracking-Apps verfolgen die Menschen in Echtzeit. Big Brother is watching you!“, erläutert Tjark den wesentlichen Unterschied zum Tracing-Ansatz.

Tracking-Apps sind u.a. in China, Indien und Südkorea (ZDF Mediathek) im Einsatz. Die Einwohner dieser Länder sind meistens verpflichtet, eine solche Apps zu installieren und aktiv zu nutzen. Dies ermöglicht eine durchgehende Zuordnung von Personen. Die zugehörigen Aufenthaltsorte werden dabei genau erfasst und weitergeleitet. Hierbei geht es meist mehr um Kontrolle und Überwachung als um Forschung zur Eindämmung und Verbreitung des neuartigen Coronavirus.

Fazit

In Deutschland ist die Nutzung der sogenannte Corona-Warn-App, die auf dem Prinzip des Tracings beruht, freiwillig. Jede*r Bürger*in kann selbst entscheiden, ob er diese App herunterlädt und ob sie etwa im Alltag Bluetooth einschaltet, um Kontakt-Tracing zu ermöglichen. Die Corona-Warn-App stellt sicherlich kein Allheilmittel zur Bewältigung der Corona-Pandemie dar, auch weil nicht jeder Bürger oder jede Bürgerin ein (dafür geeigenetes) Smartphone besitzt. Tracing ist mit dem Schutz der Privatsphäre gut vereinbar. Aus datenschutzrechtlicher Sicht gibt es jedenfalls keine Bedenken (Linus Neumann vom Chaos Computer Club zur Corona-Warn-App auf Youtube). Die Corona-Warnapp ist dennoch ein wichtiges Instrument und wer kann, sollte im Interesse der Gesellschaft die App auch nutzen, um die Verbreitung des Virus auszubremsen. 

  • Weiterlesen

    Mehr zum Nachlesen...

    • Wirth FN, Johns M, Meurers T, Prasser F. Citizen-Centered Mobile Health Apps Collecting Individual-Level Spatial Data for Infectious Disease Management: Scoping Review. JMIR Mhealth Uhealth 2020;8(11):e22594. URL: mhealth.jmir.org/2020/11/e22594 DOI: 10.2196/22594 PMID: 33074833

Ansprechpartner & Verwendung

Falls Sie Fragen haben oder den Kontakt mit uns aufnehmen möchten, wenden Sie sich gerne an die Funktionsadresse ag.chi@gmds.de

Mitgearbeitet haben (in alphabetischer Reihenfolge):

  • Björn Schreiweis
  • Ksenia Haas
  • Martin Wiesner
  • Monika Pobiruchin
  • Veronika Strotbaum

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