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Consumer Health Informatics (CHI)

Coronakrise - Welche digitalen Angebote helfen könn(t)en

Aktuell werden in der Politik und in den Medien zahlreiche neue Ideen diskutiert, wie man die Verbreitung des neuartigen Coronavirus (COVID-19) besser kontrollieren kann. Dies wirkt sich in Zeiten von Kontaktvermeidung auch auf etablierte Versorgungskonzepte und -strukturen aus. Neuartige digitale Angebote sollen Bürger*innen und Menschen in Gesundheitsberufen dabei unterstützen, den Alltag oder das Berufsleben trotz des Coronavirus aufrecht zu erhalten oder (neu) gestalten zu können. 

Die neuen Angebote unterscheiden sich jedoch in ihrer Zielsetzung und ihren Ansätzen. Für Bürger*innen ist es daher nicht immer einfach den Überblick zu behalten. Die nachfolgenden Texte sollen hier eine Einordnung in aktuelle Themen und Entwicklungen geben. Sie werden in Form von Episoden gezielt aufbereitet und durch die Autoren in regelmäßigen Abständen veröffentlicht.

Übersichtsseite der bisherigen Episoden.


Episode 4 - Preprint, Peer-Review und Co - Wie wissenschaftliches Publizieren funktioniert

einleitung

Momentan ist immer wieder die Rede davon, dass erste Ergebnisse von Studien zu Coronaimpfstoffen oder auch zum Infektionsgeschen bei Kindern bekannt sind. Woher kommen diese ersten Ergebnisse? Warum werden Ergebnisse veröffentlicht und dann teils kontrovers unter Wissenschaftler*innen diskutiert? Woran erkennt man, ob es sich bei Studienergebnissen um Zwischenergebnisse oder finale Erkenntnisse handelt? Um diese Fragen zu beleuchten, erklären wir nachfolgend, wie wissenschaftliches Publizieren im Regelfall funktioniert.

ablauf

Zunächst haben die Forscher*innen eine Idee, die sie z.B. durch Beobachtungen bei der Versorgung von Patient*innen machen. Diese Idee wollen die Forscher*innen genauer untersuchen und planen dazu eine Studie. Bei der Planung wird unter anderen festgelegt, welche Untersuchungen durchgeführt werden sollen oder wie lange die Studie dauern soll. Auch wird beschlossen, wie viele Proband*innen benötigt werden, damit die Studie eine ausreichend hohe Aussagekraft erreicht, d.h. die Ergebnisse möglichst das tatsächliche Geschehen wiedergeben.

  • Studienplanung

    Werden in der Studie Patient*innen oder Proband*innen eingeschlossen, muss zunächst ein Votum von den Ethikkommissionen aller beteiligten Einrichtungen, dies können z.B. Universitätskliniken oder Forschungsinstitute sein, eingeholt werden. Anschließend wird die eigentliche Studie durchgeführt. Das kann sehr unterschiedlich ablaufen. Forschende müssen vorab jeweils überlegen, nach welchen Verfahren, d.h. methodischen Studiendesign, sie ihre Studie durchführen möchten. Grundsätzlich werden zunächst diejenigen Patienten ausgewählt, die überhaupt für eine Teilnahme in Frage kommen. Kriterien können hier etwa Alter, Geschlecht, vorhandene Vorerkrankungen, die Schwere der Erkrankung etc. sein. Für die Studie geeignete Patient*innen und Proband*innen werden über die Studie informiert und gefragt, ob sie teilnehmen möchten (Rekrutierung). Häufig werden, wenn dies ethisch vertretbar ist, die Teilnehmer*innen (Proband*innen) zufällig auf verschiedenen Gruppen innerhalb der Studie verteilt (Randomisierung). Häufig wird dabei ein sog. Randomisiert Kontrolliertes Studiendesign verwendet. D.h., dass Patienten zufällig auf zwei Gruppen aufgeteilt werden. Die sog. Interventionsgruppe enthält die Therapie (z.B. ein Medikament, eine Operation etc.), die Kontrollgruppe erhält ein Placebo oder zunächst keine der neuen Therapiemaßnahmen, die getestet werden sollen (sog. Wartegruppe). Die Teilnehmer beider Gruppen werden regelmäßig untersucht bzw. befragt.

Die Beobachtungen einer Studie werden dokumentiert und bilden die Grundlage für die Ergebnisse einer wissenschaftliche Publikation. Nach Ablauf der Studie oder manchmal auch schon in der noch laufenden Studie, werden (Zwischen-)Ergebnisse ausgewertet und gemeinsam mit einer Beschreibung der angewandten Methodik in einer Publikation schriftlich festgehalten. Diese Publikation wird dann bei einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift (Journal) eingereicht. Dort wird die Publikation dann von unabhängigen Expert*innen aus demselben Themenfeld begutachtet (Peer Review).

Es ist aber auch möglich, eine erste Version der Publikation bereits vor der eigentlichen Begutachtung der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen (Preprint). Dies dient vor allem dazu, dass die Erkenntnisse so schnell als möglich in wissenschaftlichen Kreisen diskutiert, weitergedacht oder -entwickelt werden können. Es lässt sich beobachten, dass in jüngerer Vergangenheit Forschende immer häufiger davon Gebrauch machen. Teils greifen dann auch schon Medien die ersten Forschungsergebnisse auf und berichten sie ihren Leser*innen bzw. Zuschauer*innen.

  • Preprint

    Die Wissenschaft lebt vom Diskurs, dazu gehört der Austausch von teils gegensätzlichen Meinungen. Dies gilt gerade für noch unbekannte oder neue Themen und Herausforderungen wie das Coronavirus, um möglichst rasch den wissenschaftlich-konstruktiven Austauch zu fördern (Wikipedia).

    Da es sich bei dem neuartigen Coronavirus um ein Thema handelt, welches in Medizin, Politik und Gesellschaft viel Aufmerksamkeit erfährt und von vielen Menschen als wichtig angesehen wird, laufen derzeit viele Studien hierzu. Dementsprechend gibt es auch viele neue Forschungsergebnisse und -erkenntnisse, die für andere Forscher*innen und auch Mediziner*innen sowie die Politik von großem Interesse sind. Aus diesem Grund hat sich die Zahl der Veröffentlichungen in diesem Bereich seit Bekanntwerden der ersten Fälle (Ende Dezember 2019/Anfang Januar 2020) deutlich erhöht und es werden aktuell ungewöhnlich zeitnah Ergebnisse zum Coronavirus publiziert. Daher werden momentan fast täglich neue Studien vorab veröffentlicht.

  • Peer-Review

    Nachdem ein Manuskript von den Autor*innen bei einer Fachzeitschrift eingereicht wurde, entscheidet zunächst der/die Herausgeber*in (Editor), ob das Manuskript zur Fachrichtung des Journals passt.

    Ist dies der Fall, werden oftmals zwei oder mehr Gutachter*innen (Reviewer) bestimmt, die unabhängig voneinander die Publikation lesen und objektiv bewerten. Jene müssen erklären, ob sie einem Interessenskonflikt (z.B. Erhalt von finanziellen Zuwendungen seitens der Autoren, vorangegangene gemeinsame Projekte) unterliegen.

    Die Gutachter*innen prüfen unter anderem ob:

    • die Methodik sowie das Studiendesign geeignet sind,
    • die Ergebnisse plausibel sind, 
    • alle wichtigen Einschränkungen (Limitationen) der Studie genannt und diskutiert werden,
    • die zitierte Literatur inhaltlich zur Studie passt und aktuell ist und ob
    • die gezogenen Schlussfolgerungen zulässig und verständlich formuliert sind.

     

    Die Gutachter*innen entscheiden dann, ob der Beitrag angenommen werden kann, oder noch einer Überarbeitung (Revision) bedarf. Die Kommentare der Gutachter*innen werden anschließend der Autorengruppe zugesandt, welche dazu Stellung nehmen muss. Die Autor*innen müssen diese Verbesserungsvorschläge und Kommentare allerdings nicht alle annehmen. Eventuell sind sie einer anderen Meinung und können diese auch begründen. Dies wird in einem Antwortschreiben (Rebuttal Letter) dokumentiert.

    Es ist nicht unüblich, dass Publikationen zwei bis drei derartige Beurteilungsrunden durchlaufen; dies kann durchaus bis zu einem halben Jahr oder länger in Anspruch nehmen. Erst wenn sowohl die Gutachter*innen als auch der/die zuständige Editor*in das Manuskript für die Publikation geeignet halten, wird das es veröffentlicht. Lehnt die zunächst favorisierte Zeitschrift das Manuskript schlussendlich doch ab, können Forscher ihre Publikationen natürlich bei weiteren Fachzeitschriften zur Begutachtung einreichen.

  • VERÖFFENTLICHUNGEN AUßERHALB VON PEER REVIEW ZEITSCHRIFTEN

    Es gibt im Übrigen auch die Möglichkeit, sein jeweiliges Manuskript bei einer Zeitschrift einzureichen, die kein Peer Review Verfahren durchführt. Diese Artikel werden von der Wertung und Gewichtung her teils als weniger relevant von Fachkollegen und anderen Wissenschaftlern angesehen. Magazine dieser Art dienen unter anderem der Wissenschaftskommunikation. Sie legen daher den Fokus darauf, kompakt über neue Entwicklungen in der (digitalen) Medizin zu informieren und fassen dazu etwa Studienergebnisse zusammen oder führen Interviews mit Experten des jeweiligen Fachgebiets. Sie bieten für Forscher die Möglichkeit, ihre Ergebnisse zu streuen, d.h. einer noch breiteren Leserschaft und weiteren Zielgruppen zur Verfügung zu stellen und/oder auch außerhalb der Wissenschaft auf ihre Forschungsergebnisse aufmerksam zu machen. Beispiele für derartige Zeitschriften und Websiten sind, z.B. die E-HEALTH-COM oder Spektrum der Wissenschaft.

herausforderungen

Bei der Veröffentlichung von Studienergebnissen handelt es sich um ein durchaus komplexes und aufwändiges Geschehen, welches in der Regel einige Zeit in Anspruch nimmt. Dies gilt sowohl für die Autoren der jeweiligen Studie als auch für die Gutachter. Viele Studien werden aus Drittmitteln, d.h. beispielsweise von privaten Zustiftern oder aus öffentlichen Fördermitteln finanziert. Da die Studienteams entsprechende Gelder erhalten, sind sie angehalten, ihre Forschungsergebnisse in hochwertigen (d.h. Peer Review) Zeitschriften zu veröffentlichen. Dabei lässt sich in den letzten Jahren durchaus die Tendenz beobachten, vor allem positive Studienergebnisse (z.B. Medikament XYZ hat die erwünschte Wirkung erzielt) zu veröffentlichen. Studien, bei denen es zu unerwarteten Wirkungen (z.B. ein Medikament hat starke Nebenwirkungen) kommt oder überhaupt kein Ergebnis zu beobachten ist, werden von den Editoren nicht immer gerne veröffentlicht (sog. Publikations-Bias), wenngleich diese Ergebnisse für den wissenschaftlichen Austausch genauso wertvoll sind.

Hinzu kommt, dass die Durchführung von Studien auch durchaus interessengeleitet ist und gewissen "Trends" unterliegt. So stellt die Covid-19-Forschung derzeit einen Schwerpunkt in der medizinischen Forschung dar (Verlinkung, DLF Interview mit Antes?). Daher werden momentan Ergebnisse von Studien zum Coronavirus rascher als in der Vergangenheit veröffentlicht. Dies geschieht häufig auf sog. Preprint-Servern (Verlinkung). Hier können Forscher dann ihre ersten, noch nicht in der Fachzeitschrift veröffentlichten Studienergebnisse publizieren und Fachkollegen können die Ergebnisse kritisch diskturieren. Dieser Umstand fördert zwar den wissenschaftlichen Austausch und das Teilen von Erkenntnissen. Gleichzeitig sehen sich einige Forscher jedoch einem höheren zeitlichen Druck bzw. "Publikationsdruck" ausgeliefert. Durch das derzeitge Tempo kann es zudem zu Qualitätsproblemen kommen. Zu Problemen kann es dann kommen, wenn die eigenen Forschungsergebnisse noch unausgereift sind bzw. die Methodik und die Ergebnisse eigentlich noch einmal überprüft werden müssten. Wissenschaftlich hochwertige Studien werden dadurch möglicherweise mit Studien, die Qualitätsprobleme haben, vermischt. Grundsätzlich ist es häufig so, dass sich die letztlich veröffentlichten und begutachteten Publikationen teils deutlich von den sog. Preprints unterscheiden. Häufig verlinken die Fachzeitschriften die jeweiligen Fassungen der Manuskripte untereinander, sodass die eventuellen Veränderungen transparent dargestellt sind.

Vor diesem Hintergrund ist es daher wichtig, dass Entscheidungsträger in Politik, Behörden und Gesellschaft und die allgemeine Bevölkerung stärker als bisher über die wissenschaftlichen Prinzipien und Vorgehensweisen aufgeklärt werden. Hierdurch können sie Diskussionen und Kontroversen in den Medien insbesondere in Bezug auf Preprints besser nachvollziehen und Studienerkenntnisse eher deuten. Weiterhin ist es wichtig, dass Forschende nicht unter Druck gesetzt werden, auch unausgereifte Forschungsergebnisse rasch veröffentlichen zu müssen. Zudem sollten auch die Betreiber von sog. Preprint-Servern darauf achten, die eingereichten Beiträge kritisch zu begleiten und bei großen Qualitätsmängeln eine Veröffentlichung zu verhindern oder zurückzuziehen. Denn Studienergebnisse, die sich letztlich als falsch oder unzureichend herausstellen, können durchaus großen Schaden in der medizinischen Versorgung anrichten.


Ansprechpartner & Verwendung

Falls Sie Fragen haben oder den Kontakt mit uns aufnehmen möchten, wenden Sie sich gerne an die Funktionsadresse ag.chi@gmds.de

Mitgearbeitet haben (in alphabetischer Reihenfolge):

  • Benjamin Kinast
  • Björn Schreiweis
  • Martin Wiesner
  • Monika Pobiruchin
  • Veronika Strotbaum

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