Nachrufe
Nachruf für Herrn Prof. em. Dr. med. Dipl. Psych. Karl Überla (29.01.1935–12.6.2024)
Die Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (GMDS) e.V. und der Fachverband für Dokumentation und Informationsmanagement in der Medizin (DVMD) e.V. trauern um Prof. em. Dr. med., Dipl.-Psych. Karl Überla, der am 12.6.2024 im Alter von 89 Jahren in Icking/Bayern verstorben ist.
Beide verlieren einen Wissenschaftler, der wertvolle Beiträge für die Gesellschaften, deren Mitglieder und das Fachgebiet der Medizinischen Informationsverarbeitung geleistet hat. Hier hat er dauerhafte Spuren hinterlassen, für die wir ihm für immer sehr dankbar sind.
Diese Spuren beginnen mit seinem Buch „Faktorenanalyse“, das er während seines Aufenthaltes bei Raymond Bernard Cattell in Urbana/Illinois konzipiert hatte. Es erschien in mehreren Auflagen ab 1968 und wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Zeugen berichten, dass es das erste statistische Buch war, das sie in ihrer Ausbildung zum „Medizinischen Dokumentar“ gelesen hatten.
In der Tat wurde unter Federführung von Karl Überla 1969 an der Universität Ulm die erste Fachschule für Medizinische Dokumentation gegründet. Eine weitere Schule folgte wenig später in Gießen. Daraus entstand sehr bald der neue Berufsstand „Medizinische Dokumentation“ – heute „Medizinisches Informationsmanagement“, und schließlich 1972 die Gründung des DVMD mit heute 750 Mitgliedern. Für seine Verdienste um die Medizinische Dokumentation verlieh der DVMD Karl Überla 1987 die Ehrenmitgliedschaft.
Karl Überla trat 1966 in die GMDS ein, die damals 104 Mitglieder hatte. 1968 folgt er, aus Mainz kommend, einem Ruf der Universität Ulm auf den Lehrstuhl für Medizinische Statistik, Dokumentation und Datenverarbeitung, wo er bald auch zum Dekan der Medizinischen Fakultät gewählt wurde.
Anfang der 1970er-Jahre gewannen diese Fachgebiete der GMDS und des DVMD in der Wissenschaft, den Universitäten, der Gesundheitspolitik und in der Industrie zunehmend an Bedeutung, abzulesen an den vielen neuen Strukturen, am Bedarf an Fachleuten und an neuen statistischen und informatorischen Methoden. Der Kanon der von der GMDS vertretenen Themen begann sich schon damals auszuweiten.
1971 veröffentlichte Karl Überla die Denkschrift „Elektronische Datenverarbeitung in der Medizin – Stand und Entwicklung“ für die Deutsche Forschungsgemeinschaft. 1972 wurde an der Universität Ulm der erste Nicht-Mediziner von einer Medizinischen Fakultät promoviert. Diesem von ihm initiierten Vorbild sind mittlerweile fast alle Medizinische Fakultäten gefolgt.
1974 wechselte Karl Überla auf den Lehrstuhl für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie an der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München, den er bis 2004 innehatte. Von hier aus lassen sich seine bleibenden Spuren und Impulse für die GMDS und ihre Themen weiterverfolgen.
So war er ab 1974 zunächst Vorsitzender des Münchner und ab 1984 des Bayerischen Forschungsverbunds Public Health, der vom Bundesforschungsministerium in 20 umfangreichen Projekten gefördert wurde. Ab 1985 folgte die Gründung des postgradualen Studiums für Public Health und Epidemiologie an der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität, wo er bis 2004 Vorsitzender der Zulassungskommission war. Unter dem Titel „Pettenkofer School of Public Health“ werden heute differenzierte Studiengänge durchgeführt.
1975 erschien der 1. Band der Buchreihe „Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie“, deren Hauptherausgeber Karl Überla bis zum letzten Band, dem 90. (2006) war. Diese Reihe ermöglichte wissenschaftlichen Arbeitsgruppen und dem Fachnachwuchs, ihre Texte zu dokumentieren und schnell zu veröffentlichen. Inzwischen können alle GMDS-Mitglieder im Intranet kostenfrei diese Texte einsehen. Außerdem sind alle Texte über die private Webseite von Karl Überla abrufbar.
1977 bis 1979 war Karl Überla Präsident der GMDS. Das hieß, damals wie heute, über 6 Jahre eigene Impulse in die GMDS einzubringen und das Schicksal der GMDS mitzugestalten. Die Jahrestagungen von 1979 in Berlin und 1991 in München standen unter seiner Ägide. Sein Interesse galt zunehmend der Frage, wie sich durch den Themenkanon der GMDS die Gesundheit der Bevölkerung und die Versorgungslandschaft zu Gunsten der Patientinnen und Patienten optimieren lassen. Dies könnte ein Grund gewesen sein, warum er von 1981 bis 1985 zusätzlich zu seinen universitären Aufgaben als Präsident des Bundesgesundheitsamts – eine Oberbehörde des Bundesgesundheitsministeriums - tätig war.
Nicht aufgeführt haben wir die zahllosen Impulse und Ratschläge, die er überwiegend jüngeren Fachkolleginnen und -kollegen mit auf den Weg gab, sei es zu den biometrischen Auswertungszentren klinischer Studien, zur Gesundheitssystemforschung, zur Versorgungsforschung, zur Qualitätssicherung, zur Krebsepidemiologie oder zur Telematik.
GMDS und DVMD haben Karl Überla sehr viel zu verdanken, obwohl sein kreatives Wirken für beide schon einige Jahre zurückliegt. Mit seinem Engagement hat er einen wertvollen Beitrag zum Fortschritt und zur Arbeit unserer Fächer geleistet.
Unsere Gedanken sind bei seinen Angehörigen und Freunden.
Präsident GMDS e.V. | Vorsitzende DVMD e.V. |
Prof. Dr. André Scherag | Annett Müller |
In Zusammenarbeit mit Prof. Dr. rer. biol. hum., Dipl.-Math. Hans-Konrad Selbmann, Prof. Dr. med. Martin Dugas, Dr. med. Bernd Graubner, Dipl.-Dok. (FH) Katharina Thorn
Weitere Informationen zu seinem Lebenslauf und seinen Publikationen: www.karl-ueberla.de
Nachruf auf Professor Dr. Jürgen Wahrendorf
Mit großer Trauer haben wir erfahren, dass unser ehemaliger Chef, Mentor, Lehrer und Freund Professor Jürgen Wahrendorf am 15. März 2024 in Mainz nach langer Krankheit, die er stets mit viel Energie bekämpft hat, verstorben ist.
Professor Jürgen Wahrendorf wurde am 23. April 1948 in Bad Segeberg in Schleswig-Holstein geboren und wuchs dort auf. Er studierte Mathematik in Clausthal-Zellerfeld, Göttingen und Zürich und promovierte dort 1977 bei Professor Bühlmann mit einer mathematisch-theoretischen Arbeit.
Die nächste Station seiner wissenschaftlichen Laufbahn war die Abteilung Biometrie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. 1980 wechselte er an die International Agency for Research on Cancer (IARC) in Lyon, wo er in der “Unit of Biostatistics and Field Studies” von April 1980 bis März 1986 forschte, damals ein Zentrum der biostatistischen Forschung mit Nikolas Day als Direktor, John Kaldor, und als häufige Gäste Norman Breslow, David Clayton und Peter Smith.
Der Fokus seinen wissenschaftlichen Arbeiten war in dieser Zeit zunächst biostatistische Methoden mit Anwendung in der Toxikologie. Hinzu kamen bald Projekte, in denen er die Bedeutung der Biostatistik für die Epidemiologie herausstellte, und eigene epidemiologische Feldforschung initiierte, zum Beispiel zu Blasenkrebs und Speiseröhrenkrebs.
Im Jahre 1986 folgte er dem Ruf auf eine C4‐Professur für Epidemiologie an der medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg, verbunden mit der Leitung einer Abteilung am DKFZ, die von ihm wegweisend von „medizinische Dokumentation und Statistik“ in „Epidemiologie“ umbenannt wurde. Diese Abteilung wurde in kurzer Zeit zu einer der wichtigsten Einrichtungen für die Entwicklung der Epidemiologie in Deutschland.
Neben zahlreichen nationalen und internationalen Fall-Kontroll- und Kohorten-Studien, u.a. zur Untersuchung berufsbedingter Expositionen auf das Krebsrisiko, die von ihm initiiert, durchgeführt oder analysiert wurden, ist ihm insbesondere zu verdanken, dass Deutschland eines der teilnehmenden Länder an der „EPIC‐Studie“ (European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition) war, und unter seiner Leitung ein Studienzentrum zur Rekrutierung der etwa 30.000 Probanden eingerichtet wurde.
Ein besonderes Anliegen war ihm immer die sorgfältige und korrekte Planung und Auswertung epidemiologischer Studien mit modernen statistischen Methoden. Hervorzuheben ist, dass er auch als akademischer Lehrer sehr erfolgreich war. Zahlreiche seiner Doktoranden und Habilitanden, die er für die Epidemiologie nachhaltig begeistern konnte, wurden auf Lehrstühle berufen oder haben/hatten leitende Positionen inne. Nicht hoch genug einzuschätzen ist, dass er es verstanden hat, erfolgreiche Arbeit durch eine gute und unterstützende Arbeitsatmosphäre zu fördern. Seine Schüler haben viel von ihm gelernt.
Einen viel zu frühen Bruch mitten in seiner produktivsten Schaffenszeit verursachte seine schwere Krankheit im Jahre 1992/1993. Mit einer Willenskraft, die wir immer bewundert haben, hat er gegen die Krankheit angekämpft und wieder den Weg in das Leben und die Wissenschaft gefunden. Dies spiegelte sich in über 200 wissenschaftlichen Publikationen im Bereich Biostatistik und Epidemiologie in renommierten Zeitschriften wider.
Er hat auch dann wieder neue Arbeitsfelder gefunden und die Arbeitsgruppe „Umweltepidemiologie“ am DKFZ etabliert. Dort war er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2013 wissenschaftlich aktiv.
Nach zahlreichen Folgeerkrankungen, die er mit Mut und Kraft bekämpft und besiegt hat, war jetzt leider seine Kraft erschöpft und er hat uns für immer verlassen.
Wir trauern um ihn und möchten ihm einmal mehr danken für alles, was er uns mitgegeben hat.
Heiko Becher, Maria Blettner, Jenny Chang-Claude, Brigitte Schlehofer, Karen Steindorf